Nach dem Jahresendgespräch tummeln sich immer wieder zerknirschte Persönlichkeiten bei mir im Coaching. Die Bewertung ist unterdurchschnittlich und die Erwartungen wurden nicht erfüllt. Zu wenig Wertschätzung und kaum Anerkennung für die vielen Überstunden. Da stellt sich so manch einer die Frage: Was bin ich eigentlich wert?
m Zusammenhang mit dem Lohn kommt auch immer wieder diese Frage auf: Was bin ich wert? Aber auch in anderen Situationen wie zum Beispiel in einem Meeting: Wieviel wiegt mein Argument? Wie wertvoll ist mein Beitrag? Bin ich als Projektassistenz weniger wert als die Projektleitung?
Wenn uns diese Fragen im Kopf herumschwirren ist es meistens, weil wir uns unseres Werts nicht sicher sind. Wir hätten es gerne von jemandem gehört. Jemand soll kommen und uns sagen, wie gross unser Beitrag zum Teamerfolg ist. Wir unabkömmlich wir sind und wertvoll. Wertschätzung nennen wir das und fordern es unterschwellig von unseren Vorgesetzten ein.
Doch halt: Verwechseln wir da nicht Leistung und Wert?
Was hat mein Wert als Mensch mit meinem Wert für das Unternehmen zu tun? Interessanterweise können die meisten von uns intellektuell diese beiden Konzepte auseinanderhalten. Meine Leistung generiert Wert für das Unternehmen. Diese ist messbar (auch wenn sich kaum jemand wirklich die Mühe macht). Mein Wert als Mensch ist unantastbar, er ist nicht messbar und vollkommen unabhängig von meiner Leistung. Soweit die Theorie.
Wieso fühlen wir uns dann klein und minderwertig, wenn wir negatives Feedback bekommen?
Wieso verteidigen wir uns und finden jede Menge externe Gründe, warum wir dieses oder jenes Ziel nicht erreicht haben? – Weil wir um unseren Wert fürchten!
Anscheinend leiten wir unseren Wert doch mehr von unserer Leistung ab als uns bewusst ist. Ich möchte hier einen radikalen Ansatz vorstellen: Strikte Trennung von Selbstwert und Leistung.
1. Mein Wert ist unendlich. Egal was ich tue, ich kann kann meinen Wert nicht steigern oder verringern. Egal wie viele Fehler ich mache oder wie oft ich meine Meinung ändere. Oder wie viele Titel und Auszeichnungen ich bekomme. Mein Wert ist immer vollkommen und unveränderlich. Stell dir ein Baby vor. Wenn wir esWieso fühlen wir uns dann klein und minderwertig, wenn wir negatives Feedback bekommen?
ansehen, erkennen wir sofort den unendlichen Wert in diesen glänzenden Augen und den perfekten Fingerchen. Das Baby muss nichts können, nichts beweisen, nichts leisten. Es ist einfach da und genauso sein Wert. Du bist immer noch dieses Baby. Du bist nur etwas grösser geworden, aber dein Wert ist immer noch unantastbar und unendlich.
2. Meine Leistung variiert und damit der Wert für das Unternehmen. Das ist ganz normal, ich habe schliesslich Phasen, in denen mir Anderes wichtiger ist als der Job. Wenn ich etwas Neues lerne oder wenn ich Aufgaben ausführe, die meiner Leidenschaft entsprechen, dann sinkt oder steigt meine Leistung. Wenn ich meinen Wert nicht mit meiner Leistung kopple, kann ich Feedback viel sachlicher betrachten und es schmerzt absolut nicht.
Ich hatte letztens eine interessante Unterhaltung. Ein Klient erzählte von seinem Gespräch mit dem Chef und dass dieser ihn nicht wertschätzte. Er war nun total verunsichert und fühlte sich miserabel. Ich fragte nach dem genauen Wortlaut des Chefs. Er hatte gesagt „Du bist nicht mehr auf Kurs“. Meine Frage darauf war: Und? Bist du auf Kurs?
Ganz sachlich betrachtet konnte mein Klient wirklich nicht die Zahlen vorlegen, die zum Erreichen des Jahresbudgets notwendig waren. Der Chef hatte recht. Wieso also das Bauchweh?
Weil wir unseren Selbstwert eben doch noch öfter als uns bewusst ist von unserer Leistung und vor allem von der Meinung Anderer abhängig machen. Die Aussage des Chefs hatte eine ganze Lawine an Gedanken bei meinem Klienten losgetreten, die ihm nicht guttat. Und die mehr Probleme erschufen als lösten.
Wenn wir einen stabilen Selbstwert haben, bleiben wir in solchen Situationen völlig gelassen. Statt Bauchweh zu bekommen werden wir ganz objektiv die Faktoren analysieren, die zu diesem Feedback geführt haben und uns Massnahmen überlegen. Wir gehen aus dem Gespräch mit Dankbarkeit heraus, weil wir wieder mehr Klarheit haben und Ideen, wie wir noch besser werden können!
Klingt utopisch? Also bei mir funktioniert’s.
Was ist nun mit Wertschätzung? Mit aufmunternden Worten, mit Lob und Anerkennung? Kann man das nicht heutzutage von einem Leader erwarten?
Erwartungen machen uns unglücklich und krank. Deshalb rate ich davon ab, Erwartungen zu haben, egal wie sinnvoll sie klingen.
Als Vorgesetzte verteile ich Lob gern und grosszügig. Als Auftragnehmerin erwarte ich sie nicht. Zero. Ich brauche sie nicht. Und ich weiss, dass das Verhalten meiner Auftraggeber viel mehr mit ihnen selber zu tun hat als mit mir. Wenn mich jemand über den grüne Klee lobt, dann sagt das mehr über sie selber aus als über mich. Worauf sie wert legen, wie sie sich selber als Führungspersonen verstehen etc. Es hat nichts mit mir zu tun, allenfalls mit meiner Leistung. Und wenn sich diese verbessern lässt, dann bin ich sofort dabei, konstruktives Feedback zu hören!
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Verena Tschudi ist Coach für Karriere und Leadership. Sie ist die Herausgeberin des Podcasts LEVEL ME UP! und inspiriert ihr Publikum für mehr Erfolg und Erfüllung im Job.
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